DER WAL UND DAS ENDE DER WELT – John Ironmonger / Rezension

„Nicht die Krankheit wird uns umbringen, sondern die Furcht.“
Der Wal und das Ende der Welt von John Ironmonger
 
Ein Roman, der dem Leser vor Augen führt, wie zerbrechlich unsere globalisierte Gesellschaft ist, der bewusst macht, wie stark Egoismus unsere Wirtschaft lenkt und wir wirtschaftliche Zusammenhänge auf unserer Welt unterschätzen.
Zugleich macht John Ironmongers Geschichte Hoffnung. Denn in ihr gibt es Menschen, die an die Stärke der Gemeinschaft glauben und denen Menschlichkeit und Mitgefühl auch im Angesicht größter Krisen wichtig sind.
 
Dass ein Fremder namens Jonas und ein Wal am selben Tag am Strand angespült werden, erscheint nicht nur den Bewohnern des südenglischen Dorfes St. Piran wie eine unheilvolle Prophezeiung. Auch der Leser fühlt sich an die biblische Geschichte von Jona und dem Wal erinnert – und das ist durchaus beabsichtigt, denn der Roman ist eine moderne Interpretation dieser Geschichte.
 
Als Mathematiker bei einer Londoner Investmentbank muss Jonas „Joe“ Haak weltweite ökonomische Entwicklungen vorhersagen und seiner Bank so zu Millionengewinnen verhelfen. Eine falsche Vorhersage seines Programms und deren katastrophale Folgen für seinen Arbeitgeber veranlassen ihn zu einer überstürzten Flucht und führen ihn ins beschauliche St. Piran. Doch statt das Leben dort zu genießen, nutzt er sein Vermögen, um Massen an Lebensmitteln für das Dort zu beschaffen. Die von ihm entwickelte Software vermag nämlich mehr als nur Aktienkurse zu berechnen: Sie hat eine nie dagewesene Katastrophe vorhergesagt, auf die Joe sich und sein Dorf nun vorbereitet.
 
In Kombination mit den im Text zitierten Thesen aus Jared Diamonds Sachbuch Kollaps, der philosophischen Schrift Leviathan von Thomas Hobbes sowie neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu potentiell apokalyptischen Ereignissen wirkt der Roman wie eine erstaunliche Vorwegnahme der Pandemie-Ereignisse von 2020. Tatsächlich ist das englische Original bereits fünf Jahre früher erschienen.
 
Der Wal und das Ende der Welt ist der dritte Roman des  1954 in Kenia geborenen Briten John Ironmonger und der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Er handelt von den empfindlichen Verbindungen, die dem Funktionieren unserer Gesellschaft zugrunde liegen, und den Folgen einer weltumspannenden Krise in Form einer Pandemie.
Statt ein actionlastiges Katastrophenszenario zu entwerfen, lässt der Autor seine Hauptfiguren gesellschaftsphilosophische Fragen eindrücklich und unterhaltsam in Dialogen erörtern. Wie reagieren Menschen auf eine globale Krise? Was hält die Gesellschaft zusammen? Siegt am Ende der Egoismus oder doch die Gemeinschaft?
 
Die auf verschiedenen Zeitebenen erzählte Geschichte zeigt anhand des Wandels von Joe Haak vom Großstadt-Yuppie zum Versorger eines ganzen Dorfes die Veränderungen des Individuums angesichts einer existenziellen Krise glaubhaft auf. Zugleich macht sie deutlich, wie rasant sich das Handeln einiger weniger zu einem Massenphänomen potenzieren kann – so z.B. das rücksichtslose Anhäufen lebensnotwendiger Güter, das seit 2020 jedem ein Begriff sein dürfte. Letzteres ist nur einer von vielen Punkten, die dem Leser die Handlung vertraut erscheinen lässt.
 
Während die aktuelle weltweite Krise noch einer wie auch immer gearteten Beilegung harrt, kommt Ironmongers philosophische Betrachtung der Gesellschaft zu dem Schluss, dass die Menschheit in einer Krise zusammenrücken statt – wie von Hobbes vorhergesagt – in Anarchie verfallen wird. 
 
Der Wal und das Ende der Welt ist ein absolut lesenswerter Roman, der an Aktualität und Weitsicht derzeit kaum zu überbieten sein dürfte.
 
 
John Irongmonger
Der Wal und das Ende der Welt
Verlag: Fischer Taschenbuch
Dt. Erstausgabe: 25. März 2020
12,00 €
 
Zitat Überschrift: Der Wal und das Ende der Welt, S. 163

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