Die Erzählerin dieser Geschichte ist selbst Historikerin und sie berichtet über Ereignisse, die sie vor 36 Jahren, als 16jähriges Mädchen erlebte. Der Anlass über ihre Erlebnisse zu berichten, war ein Ereignis, auf das ganz am Ende des Romans eingegangen wird und das aus der gesamten vorher erzählte Geschichte ein weiterhin ungeklärtes Mysterium macht.
Ebenfalls ein Mysterium bleibt der Name der Ich-Erzählerin, die anhand ihrer Erinnerungen durch Geschichte führt. Sie erinnert sich an ihren Vater – einen Historiker – hierzulande würde man wahrscheinlich Geschichtswissenschaftler sagen, der in den 1950er Jahren an einer amerikanischen Universität promoviert und während dieser Zeit Unvorstellbares erlebt hatte.
Sie selbst erfährt von den Erlebnissen ihres Vaters nachdem sie als 16jährige in dessen Bibliothek auf ein seltsames Buch und einen Stapel Briefe gestoßen war. Diese Briefe begannen alle mit den Worten „Mein lieber, unglücklicher Nachfolger“
Sie lebten damals in Amsterdam, denn ihr Vater war mittlerweile Diplomat und bereiste sämtliche europäische Länder, vornehmlich jedoch die in Südosteuropa. Auf diesen Reisen, zu denen er sie manchmal mitnahm, eröffnete er ihr nach und nach sein Geheimnis und das der Briefe, die sie gefunden hatte.
Während der Zeit seiner Promotion in den 50er Jahren fand er ein seltsames Buch in der Universitätsbibliothek. Es war alt und völlig unbeschrieben. Nur in der Mitte des Buches war doppelseitig ein Drache abgedruckt und das Wort „Drakulya“.
Er stellt ein paar Nachforschungen an und landet schnell bei Vlad Tepes – dem eigentlichen Fürsten Dracula – und den Legenden, die sich um ihn ranken. Als er seinem Doktorvater Professor Rossi von dem Fund berichtet, löst das in diesem eine unerwartete Reaktion aus. Er zeigt Paul sein eigenes Exemplar dieses Buches, welches er vor vielen Jahren ebenfalls gefunden hatte und nie wieder loswerden konnte.
Auch dieser Historiker hatte damals begonnen, Nachforschungen anzustellen. Die führten ihn bis nach Istanbul. Dort jedoch geschahen Dinge, die ihn veranlassten, seine Suche ein für alle Mal zu beenden und sich nie wieder mit diesem Thema zu beschäftigen.
Rossi behauptete nämlich herausgefunden zu haben, dass Dracula noch lebt. Daraufhin händigte er Paul seine gesamten Forschungsunterlagen zu diesem Thema aus und wollte nicht mehr darüber reden.
Am selben Abend verschwand der Professor unter mysteriösen Umständen.
Paul machte sich auf die Suche nach seinem Doktorvater und ihm wurde schnell klar, wenn er Rossi finden wollte, musste er nach Dracula suchen.
Auf dieser Suche lernt er Helen kennen, die angebliche Tochter seines Doktorvaters. Sie haben beide das Ziel, Dracula aufzuspüren und so schließen sie sich zusammen und machen sich auf eine gefährliche Reise die sie nach Istanbul, Ungarn und Bulgarien führt.
Nach und nach decken sie nicht nur die Geheimnisse von Vlad Tepes auf, sondern auch die von Professor Rossi, Helen und ihrer Mutter. Denn sie alle verbindet viel mehr mit Dracula als nur ein paar obskure Bücher.
Die in dem Roman erzählten Geschichten, die sich von den 30er bis zu den 70er Jahren erstrecken und dabei einen historischen Zeitraum von ungefähr 500 Jahren abdecken, werden zum Großteil in Briefform wiedergegeben.
Wenn die Ich-Erzählerin nicht gerade selbst spricht, liest man die Briefe von Professor Rossi oder ihrem Vater oder die von Mönchen und anderen Zeitzeugen aus dem 15. Jahrhundert.
Auf diese Weise wird ein sehr wirklichkeitsnahes Miterleben der Ereignisse erzeugt und das ist auch die Faszination, die von diesem Roman ausgeht. Die Orte an denen sich die Handlung hautsächlich abspielt tragen ebenfalls zu dieser Stimmung bei. Es sind Universitäten und deren Bibliotheken, uralte Archive, aus der Zeit gefallene Dörfer des Balkans, Kirchen und Klöster.
Der Autorin ist es gelungen, eine Stimmung zu erzeugen, die den Geruch von altem Papier, die erhabene Ruhe von Bibliotheken und jede Menge düstere Ahnungen transportiert.
Auch wenn das Buch ab der zweiten Hälfte einige Längen aufweist, die nicht unbedingt notwendig gewesen wären, reißt die unterschwellige Spannung eigentlich nie ab. Die Gefahr ist allgegenwärtig; Misstrauen und Verzweiflung drohen der Geschichte immer wieder ein vorzeitiges Ende zu setzen.
Nicht jeder überlebt die gefährliche Suche nach der Wahrheit um Vlad Tepes und Professor Rossi und nicht jeder von dem man es glaubt, ist wirklich tot.
Der Historiker ist ein Roman der dem magischen Realismus zuzuordnen ist. Er spielt in unserer Welt und in Zeiten, die für uns noch greifbar sind. Er hat jedoch diese mystische oder auch magische Komponente – in diesem Fall den Vampirismus.
Dadurch dass die Autorin die Traditionen und Überlieferungen der mittelalterlichen Balkan-Region sehr ausführlich und aus wissenschaftlichem Sicht darlegt, erlangt man tatsächlich eine spannenden und durchaus neuen Zugang zu diesem Thema. Nach der Lektüre dieses Romans wird man die Geschichten um Dracula möglicherweise ab sofort in einem etwas anderen Licht betrachten.
Fazit
Der Historiker ist ein absolut lesenswerter, atmosphärisch dichter und fesselnder Roman, der einige Überraschungen bereithält. Wer mit „der Historiker“ am Ende wirklich gemeint ist, ist eine davon.
Roman: Der Historiker
Autorin: Elisabeth Kostova
Verlag: Bloomsbury Berlin (August 2005)
2 Gedanken zu “DER HISTORIKER – Elisabeth Kostova – Rezension”
Eine schöne und treffende Rezension.
„Der Historiker“ liegt – zum Glück – weitab vom üblichen Fantasy-Mainstream und ist wirklich ein raffiniertes Kunstwerk. In dieser Hinsicht vielleicht eine kleine Ergänzung:
Die Autorin Elizabeth Kostova hat sich nämlich eine spannende Mischung ausgedacht, indem sie historische Briefe, Dokumente und persönliche Berichte mit der Rahmenhandlung einer Ich-Erzählerin verbindet, die uns als LeserIn zu einer Entdeckungsreise in die Vergangenheit einlädt. Dabei nutzt sie genau das Gestaltungsprinzip ihrer großen literarischen Vorlage, Bram Stokers „Dracula“ (1897), der seine Vampir-Geschichte als Tatsachendokumentation in Form von Tagebucheinträgen präsentiert.
Eingebettet in eine rückblickende Erzählung, die in den siebziger Jahren spielt, umspinnt die Autorin auf diese Weise unseren modernen, rational und historisch geprägten Geist und verführt uns für die Zeit des Lesens, daran zu glauben, dass Dracula tatsächlich noch bis ins letzte Jahrhundert sein Unwesen getrieben hat.
Trotz der Länge des Buches bleibt vieles über Vlad III. offen, wie er zum Vampir wurde, ob es noch andere von seiner Art gibt … Das ist reizvoll und unbefriedigend zugleich, aber in jedem Fall anregend für die eigene Fantasie. Und das schätze ich sehr.
Maja, Du bist eine der wenigen Buchbloggerinnen, die sich die literarisch ausgefeilteren und komplexeren Werke in der Fantasy aussucht. Das finde ich toll!
Als weiteren Tipp, top aktuell, ein Vampirroman der ganz anderen Art: Dana Grigorcea „Die nicht sterben“.
Grüße von David!
Lieber David,
vielen Dank für Deine Rückmeldung und die interessante Ergänzung. 🙂
Der Roman von Dana Grigorcea kommt auf jeden Fall auf meine Leseliste. Die Beschreibung klingt ganz nach meinem Geschmack. Meinen heißen Dank schon mal für diesen tollen Tipp!
Liebe Grüße, Maja