In Babylon geht es um einen sagenhaften archäologischen Fund in einer sehr gefährlichen Gegend – der syrisch-irakischen Grenzregion. Ein in die Tiefe gebauter Turm (oder auch eine Pyramide) sowie ein uralter, an ein Uhrwerk erinnernder Mechanismus geben der Archäologin Hannah Peters, ihrem Mann John und dem Milliardär Norman Stromberg Rätsel auf. Hannah hat von Anfang an ein schlechtes Gefühl diesen Fund betreffend, und zu allem Übel befinden sie sich auch noch mitten im Kriegsgebiet und zwischen den Fronten. Auf der einen Seite lauert der IS, auf der anderen Seite die amerikanischen Bomber. Dass sie ihre 4-jährige Tochter Leni dabei hat, trägt ebenfalls zu einer entsprechenden Anspannung bei.
Das Schicksal führt zudem noch einen Kommandanten und einen Imam des IS, eine BBC-Reporterin, ein Kommandanten der amerikanischen Streitkräfte und die militärische Beraterin des US-Präsidenten zur Fundstätte, sodass sich am Ende eine illustre Gesellschaft in die Tiefen des Turmes hinabbegibt und auf das stößt, was einst in dessen Tiefen verborgen wurde.
Die Geschichte entwickelt sich ganz so, wie es für viele Mystery-Thriller typisch ist: In einer abgelegenen Gegend wird ein besonderer Fund gemacht, und ein Team von Spezialisten begibt sich dorthin – zunächst in der Annahme, es handele sich um eine rein archäologische Entdeckung. Dann passieren seltsame Dinge, Menschen sterben, Rätsel müssen gelöst werden, Neugier, Dummheit oder irgendeine externe Gefahr bringen das Team dazu, entgegen alle Vernunft irgendetwas zu öffnen, zu betreten etc. – und dann bricht die Hölle los.
Ich mag derartige Unterhaltung ab und zu ganz gern, deswegen stört mich dieses „Schema-F“ eigentlich nicht, solange es sich um eine kurzweilige Geschichte handelt, die mir irgendetwas Besonders bietet, z.B. spannende Charaktere, abgefahrene Monster oder eine völlig überraschende Auflösung.
Leider liefert Babylon nichts von alldem. Auf ca. drei Vierteln der insgesamt 523 Seiten erfährt der Leser hauptsächlich, wie alle Protagonisten zum eigentlichen Ort des Geschehens gelangen. Dabei wird viel über Politik und Religion philosophiert, was generell nichts Schlechtes ist, aber in diesem Fall eher wie Füllmaterial wirkt, das dem Roman zu mehr Quantität, der Geschichte jedoch nicht zu mehr Inhalt verhilft.
Ein paar dramatische Situationen, inklusive einer Entführung durch den IS, erhalten die Spannung so weit, dass man bis zum letzten Viertel durchhält, in dem es endlich ins Innere des Turmes geht. Doch leider wartet hier die größte Enttäuschung; Anstatt einer Reise durch das Innere des monströsen Bauwerks wird dem Leser Dante Alighieris sattsam bekannte Konzeption der Hölle (das Inferno aus der Göttlichen Komödie) vorgesetzt. Spätestens ab jetzt wirkt die Geschichte zunehmend absurd, phasenweise gar nervig. Man sehnt das kolossale Ende, eine Auflösung herbei. Doch um dieses zu verstehen, muss man ein ganz anderes Werk des Autors gelesen haben. Zwar bemüht Thiemeyer sich, durch eine kurze Rückblende die vorausgegangene Geschichte in Erinnerung zu rufen, doch das hilft weder dem, der Medusa nicht kennt, noch dem, der es vor langer Zeit gelesen hat. Der Effekt des Rückgriffs verpufft, das lang ersehnte Finale gerät zur Farce.
Ich bin mir sicher, dass der Autor viel Zeit und Mühe in diesen Roman investiert hat. Das lassen zumindest die vielen Hintergrundinformationen über das Krisengebiet und dessen historische und politische Entwicklung vermuten. Umso weniger kann ich verstehen, dass er sich mit dem Finale sowie der Ausgestaltung der Charaktere so wenig Mühe gemacht zu haben scheint. Die Personen wirken allesamt wie Rohlinge – gesichtslose Schaufensterpuppen mit zwei, höchstens drei holzschnittartigen Charakterzügen sowie einer Frisur. Insbesondere bei Hannah Peters, John und Stromberg wirkt das schwer möglich, sollten sie durch die „Hannah Peters-Reihe“ eigentlich längst mit ausreichender Tiefe eingeführt sein. Dessen ungeachtet agieren sie hölzern und unnachvollziehbar, reine Pappkameraden.
Auch das Lektorat des Verlags scheint sich nicht viel Mühe mit dem Roman gegeben zu haben. Das Buch strotzt vor Fehlern, sowohl im Layout wie inhaltlich. Oft sind Wörter nur zur Hälfte kursiv gedruckt, eine Figur heißt mal Gaumata und mal Gautama, es gibt so was wie eine Schaltzeituhr (?) – und was zur Hölle sind „mineralische Gedanken“?
Es tut mir sehr leid um das Buch, auf das ich mich eigentlich gefreut hatte. Ich habe nicht wenige Bücher von Thomas Thiemeyer gelesen und war fast immer begeistert, auf jeden Fall nie enttäuscht. Bis jetzt.
Fazit: Ein teilweise spannender Mystery-Thriller mit mäßigem Unterhaltungswert und einem abstrusen Ende. Leider nicht zu empfehlen.
Wertung: 3 von 10 Punkten